Aus den Besonderheiten der lateinischen Sprache ergeben sich die Besonderheiten des Lateinunterrichts. Im Gegensatz zu den modernen Fremdsprachen findet der Lateinunterricht auf Deutsch statt. Wir übersetzen immer vom Lateinischen ins Deutsche. Dadurch trainieren die Schülerinnen und Schüler ständig auch ihre Muttersprache und manch ein Phänomen der deutschen Sprache tritt plötzlich umso klarer hervor.

Ein Beispiel: Nach der Behandlung der Steigerungsformen kommt die Frage auf, ob man überhaupt etwas „optimieren“ im Sinne von „verbessern“ kann, wenn doch das lateinische Wort optimum schon „das Beste“ ist.

Die Schülerinnen und Schüler werden nach und nach mit dem Wortschatz und den grammatischen Strukturen vertraut gemacht. Sie lernen Formen und Vokabeln sowie Satzstrukturen in Übungen, die oft aus spielerischen Tüftel-, Rätsel- oder Suchaufgaben bestehen. Methodisch lernen die Schüler früh das gemeinsame problemorientierte Arbeiten an der komplexen Aufgabe ‚Übersetzung‘, die selbstständige und gegenseitige Kontrolle und das Lernen durch Lehren.

In der sogenannten Lehrbuchphase, die von Klasse 7 bis etwa zum ersten Halbjahr der Klasse 10 dauert, werden z.B. Texte zu den Themen „Schule“, „Familienleben“, „Stadtleben in Rom“, „Mythologie“, „Geschichte“ und „Philosophie“ übersetzt. Über die Inhalte wird das Tor zur römischen Kultur und Geschichte eröffnet und Fragen wie „Was durfte ein Sklave?“, „Was ist eine Herkules-Aufgabe?“ oder „Wie organisierten die Menschen das Stadtleben?“ beantwortet. Bereits hier geht es um nichts Geringeres als die geistigen und kulturellen Fundamente Europas.

In der Lektürephase lesen wir originale Texte. Auch hier gibt es eine große Auswahl an
möglichen Texten: neben dem bekannten De bello Gallico Caesars reicht die Palette von Ciceros Reden über Ovids Verwandlungssagen oder Liebeskunst, die Briefe des Plinius, Senecas philosophische Schriften bis hin zu Texten aus der Zeit des Humanismus. Durch das Lesen dieser antiken Texte erhalten die Schülerinnen und Schüler einerseits einen Zugang zu den Grundlagen der europäischen Kultur, des Rechtswesens oder der Rhetorik. Andererseits erkennen sie immer wieder Zusammenhänge mit der Gegenwart – so ergibt sich vernetztes Denken sowie eine Orientierung in unserer globalisierten Welt.
Die Nähe zum Römermuseum in Haltern, aber auch das Römisch-Germanische Museum in Köln oder das „Museum und Park Kalkriese“ erlauben uns auf Exkursionen spannende Einblicke in das antike Leben.

Die lateinische Sprache ist von einer sehr klaren Satzstruktur sowie mehrdeutigen Formen und Wörtern geprägt. An den Endungen der Wörter werden Merkmale wie z.B. die Zeitform, der Fall oder die Zahl erkennbar. Das bedeutet, dass beim Übersetzen einerseits durch genaues Kombinieren ein Entschlüsseln der grammatischen Zeichen und Strukturen notwendig ist. Andererseits kommt es darauf an, inhaltliche Mehrdeutigkeiten gegeneinander abzuwägen und die beste Bedeutung herauszufinden. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen:

Der Satz Quintus amicum adit zeigt dem Leser zunächst: Quintus ist das handelnde Subjekt, erkennbar an der Endung –us; amicum antwortet auf die Frage wen oder was? (Endung –um), adit zeigt an, dass er, sie oder es handelt. Da adit mehrere Bedeutungen hat (adire: herangehen, besuchen, sich wenden an, angreifen), kann der Satz vieles bedeuten: Quintus wendet sich an den Freund. Quintus besucht den Freund. Quintus greift den Freund an. Welche Lösung ist nun die richtige? Das muss aus dem Textzusammenhang heraus begründet werden.

Es gibt also keine schnellen Lösungen beim Übersetzen. Vielmehr sind eine gründliche Sprachbetrachtung, problemlösendes Denken, Kreativität und Unterscheidungsvermögen gefragt.

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